Kinder und Jugendliche sind derzeit praktisch nicht sichtbar und ihre Anliegen ebenso wenig. Eine Banner-Aktion von „Wir sind die Zukunft“ verschafft ihnen jetzt Gehör.
Schulen geschlossen, Musikschulen und Sportvereine dicht, Clubs sowieso. Freizeitstätten dürfen vor Ort nur ein Notprogramm fahren und die Arbeit der Jugendverbände ist ebenfalls stark gedimmt. Die Folge: Kinder und Jugendliche sind derzeit fast von der Bildfläche verschwunden und ihre Stimme wird nicht gehört. Dabei leiden sie mindestens so sehr wie Erwachsene unter den Folgen der Pandemie. Und sie haben etwas dazu zu sagen. Eine stadtweite Banneraktion verschafft ihnen jetzt Gehör und will die jungen Stadtbewohnerinnen und -bewohner ermutigen, ihre Meinung zu sagen.
Deren Situation ist verzwickt. Einerseits kann niemand behaupten, dass Kinder und Jugendliche im zweiten Lockdown keine Rolle spielten. Denn die Öffnung von Kitas und Schulen wird laufend diskutiert und von der Politik als Priorität versprochen, sobald dies vertretbar sei. Andererseits haben junge Menschen weit mehr Bedarfe als nur Betreuung und Unterricht. Doch was sie selbst über all das denken, ist in der Öffentlichkeit kaum zu hören.
Nun wurden an vielen der mehr als 100 Münchner Freizeitstätten sowie bei Sportvereinen und Jugendverbänden Banner mit Statements von Kindern und Jugendlichen aufgehängt. Sie sollen die Erwachsenen wachrütteln und die Gleichaltrigen motivieren, selbst den Mund aufzumachen.
„Ich habe kaum noch etwas Anderes im Leben als Schule“, ist auf einem der sechs verschiedenen Banner zu lesen. „Ich habe viele Freundinnen und Freunde verloren. Mein soziales Leben ist nicht mehr vorhanden.“ Auf anderen beklagen Schüler den „immensen Leistungsdruck“, als „alle Lehrer Noten brauchten, bevor wieder Distanzunterricht einsetzte“. Dass auch Jugendliche bereits unter den wirtschaftlichen Folgen leiden müssen, macht eine andere Stimme klar. „Mein Nebenjob ist weggefallen“, berichtet ein Teilnehmer Anfang Zwanzig „Ich brauchte den, um mein Leben finanzieren zu können. Nun bin ich als 22-Jähriger verschuldet.“
Die Aussagen stammen von jungen Münchnerinnen und Münchnern, die an der 3. Münchner Jugendbefragung 2020 teilgenommen haben. Zu der waren ab dem 15. September 2020 alle jungen Menschen der Stadt zwischen 16 und 24 Jahren eingeladen. Die Antworten auf die Frage „Was hat sich in deinem Leben mit Corona zum Schlechteren verändert?“ sind teilweise alarmierend und zeigen tiefe Verunsicherung und Frust. Etwa von der jungen Person, die sagt „Jeder Tag ist gleich und das Leben ist so wenig lebenswert im Moment.“ Eine andere kritisiert, dass sie sich „kaum noch sozial engagieren“ kann. Neben Schule, Freundschaften und Jobverlust geht es auch um die Club-Kultur. Da spricht eine oder ein Teilnehmende/r der Umfrage vom Verständnis im eigenen Umfeld dafür, „dass im Moment kein normaler Club-Betrieb möglich ist. Es sind aber alle besorgt, dass nach der Pandemie keine Clubs mehr übrig sind.“
Weil die Umfrage anonym war, ist nicht feststellbar, welches Alter oder Geschlecht die Antwortenden haben. Das macht ihre Aussagen jedoch nicht weniger interessant und relevant. Das gilt auch für die Klage über fehlendes Interesse an der Sichtweise junger Menschen: „Mich stört es sehr, wie alles entschieden wird. Ich bin alt genug und weiß, dass das meiste was eingeschränkt wurde, einen guten Grund hatte. Ich und viele andere aus meiner Klasse hätten uns sehr gefreut, wenn wir auch Mitspracherecht hätten.“
Hinter der Aktion mit dem sprechenden Namen „Raise your voice!“ steht der Arbeitskreis Kinder- und Jugendbeteiligung, das Stadtjugendamt und das Aktionsbündnis „Wir sind die Zukunft“, einem Zusammenschluss von Kreisjugendring München-Stadt, Münchner Trichter und Fachforum Freizeitstätten.
„Unser Ziel ist es, jungen Menschen in der Pandemie Gehör zu verschaffen“, sagt Judith Greil, Vorsitzende des KJR, der die Aktion koordiniert. „Wir wollen zeigen, dass auch sie auf ganz vielfältige Weise davon betroffen sind.“ Die Aktion will erreichen, dass Kindern und Jugendlichen mehr zugehört wird und dass sie in Entscheidungen über Maßnahmen einbezogen werden.
„Junge Menschen verstehen durchaus, warum Einschränkungen nötig sind“, berichtet Greil, „aber sie werden nie gefragt, wie diese Einschränkungen umgesetzt werden können.“ Daher fordert sie im Rahmen des Möglichen ein Mitspracherecht für Kinder und Jugendliche. Als Beispiel führt sie die Rodelhügel an, die im Januar wegen großen Andrangs für Wirbel sorgten. Statt sie pauschal zu sperren, könne man mit den Kindern vor Ort besprechen, wie alle zu ihrem Recht kommen und gleichzeitig der Infektionsschutz gewahrt bleiben könne. „Das ist auf den ersten Blick ein bisschen anstrengender, erspart aber auf lange Sicht viel Frust und fördert die Bereitschaft, sich an Auflagen zu halten“.